Diskussion mit Bundestagsabgeordneten im Gewerkschaftshaus IG Metall fordert massive Zukunftsinvestitionen zum Erhalt des Industriestandortes

Die IG Metall schlägt Alarm: 12.000 Industriearbeitsplätze werden in Deutschland aktuell jeden Monat abgebaut. Sie sieht auch die Politik gefordert, endlich bessere Bedingungen für die Industrie zu schaffen – und so die Deindustrialisierung zu stoppen.

Matthias Wilhelm, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter-Peine

30. September 2025 30. September 2025


Dazu gehört etwa die Einführung eines wettbewerbsfähigen Industriestrompreises, der schnellere Ausbau günstiger erneuerbarer Energien, von Stromnetzen, Speichern und Wasserstoff-Infrastruktur sowie die Förderung der E-Mobilität. Das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität sollte gezielt für Zukunftsinvestitionen genutzt werden. Außerdem müsse der Sozialstaat zur Flankierung der Transformation weiter ausgebaut anstatt beschnitten werden.

Was können und werden Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis der IG Metall Salzgitter-Peine in zentralen Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unternehmen? Zu diesem Thema bat die IG Metall die Bundestagsabgeordneten Dunja Kreiser (SPD), Prof. Dr. Reza Ashgari (CDU) und Cem Ince (Die Linke) am vergangenen Montagabend zum offenen Austausch ins Gewerkschaftshaus. Neben den Positionen zur Industriepolitik wollten die Gewerkschafter von den Gästen wissen, wie sie zur Reform des Arbeitszeitgesetzes, zu Sozialstaat und fairer Lastenverteilung sowie zur aktuellen Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht stehen.


Delegiertenversammlung der IG Metall Salzgitter-Peine

Industriestandort Deutschland

Zu den Forderungen der IG Metall für eine aktive Industriepolitik wandte Reza Asghari ein: „Die globalen Rahmenbedingungen sind schlechter geworden. Der Industriestrompreis wird kommen, aber das wird wegen des Monsters Bürokratie länger dauern.“

Cem Ince hob dagegen die Gestaltbarkeit von Politik hervor. Betriebliche Mitbestimmung sei die unverzichtbare Voraussetzung, damit die Transformation im Sinne der Menschen erfolgreich bewältigt werden könne. Zum Projekt der Salzgitter AG für grünen Stahl sagte er: „Salcos müsste in der Bundesrepublik Prestigeobjekt sein. Wir haben innovative Technologien, aber warum fördern wir diese nicht ausreichend?“

Die SPD-Abgeordnete Dunja Kreiser verwies auf die staatlichen Förderungen des Salcos-Projekts, den Ausbau der A39 oder das regionale Netzwerk-Projekt als Investitionen in die Zukunft. Offen blieb die Frage, wann die Förderungen aus den beschlossenen Sondervermögen bei den Betrieben ankommen. Mehrere Redner forderten vehement eine wesentlich schnellere Umsetzung. Die Förderung von klimaneutraler Stahlherstellung, Batteriezellenfertigung und der Wasserstofftechnologie sei kurzfristig und verlässlich nötig. Ansonsten sei ein industrieller Kahlschlag zu befürchten, wie er aktuell vom Unternehmen MAN in Salzgitter angedroht wird.


Delegiertenversammlung der IG Metall Salzgitter-Peine

Zukunft des Sozialstaats

Beim Thema Sozialstaat setzt sich die IG Metall für eine solidarische Lastenverteilung ein. Das bedeutet vor allem, dass mehr Menschen in die Sozialversicherungssysteme einzahlen, also eine umfassende Bürger- und Erwerbstätigenversicherung geschaffen wird. Außerdem sollen große Vermögen und Spitzeneinkommen gerechter besteuert werden.

Nils Knierim, VK-Leiter Salzgitter Flachstahl, brachte es auf den Punkt: „Was wir uns nicht mehr leisten können, sind die Superreichen.“ Der Angriff auf den Sozialstaat sei in der Zeit der forcierten Transformation völlig unangebracht, Menschen bräuchten gerade jetzt Sicherheit. Stattdessen müsse die Finanzierungsbasis durch erhöhte Erbschaftssteuern oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer verbessert werden.

Kreiser stimmte dem grundsätzlich zu: „Wir benötigen solidarische Sozialsysteme, mehr Effizienz und im medizinischen Bereich mehr Vorsorge.“ CDU-Politiker Asghari lobte das Sozialsystem in Deutschland mit Bürgergeld und Krankenversicherung als eine große Errungenschaft. Aber: „Manche nutzen den Sozialstaat aus.“

Ince widersprach unter Beifall: „Feindbilder gegenüber Bürgergeldempfängern aufzubauen, dient nur den Rechtsextremen. Wir brauchen den Sozialstaat, weil der Markt von allein überhaupt nichts für uns regelt.“ Der Sozialstaat könne auch in Zukunft ausreichend finanziert werden, wenn die Lasten gerecht verteilt würden.


„Reform“ des Arbeitszeitgesetzes

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, den 8-Stunden-Tag durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen zu wollen. Die IG Metall lehnt eine Abschaffung des 8-Stunden-Tages allerdings als eine zentrale gewerkschaftliche Errungenschaft entschieden ab. Nach ihrer Meinung laufen die Arbeitszeitpläne der Regierung in die komplett falsche Richtung. Tatsächlich wurden 2024 1,2 Milliarden Überstunden geleistet, die Hälfte davon unbezahlt, wie Oliver Kratzert, VK-Leiter von Alstom Salzgitter feststellte.

Ince: „Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit ist nur die Arbeitgebersicht gemeint. Überlange Arbeitszeiten erhöhen aber das Gesundheits- und Unfallrisiko deutlich.“ Tatsächlich müsse die 35-Stunden-Woche und 4-Tage-Woche ausgebaut werden, denn die Beschäftigten wollten nachweislich geregelte Arbeitszeiten.

Kreiser stellte ihre Sicht klar: „8 Stunden – da dürfen wir nicht dran rütteln“. Die Menschen benötigten auch Zeit für ehrenamtliches Engagement, das in unserer Gesellschaft unverzichtbar sei.

Asghari verteidigte die Pläne der Koalition: Mehr Flexibilität solle in bestimmten Bereichen die Wettbewerbsfähigkeit steigern, denn „die Zustände haben sich leider geändert.“ Aber er erklärte auch: „Der Staat darf sich nicht einmischen in die Tarifautonomie.“


Delegiertenversammlung der IG Metall Salzgitter-Peine

Debatte um die Wehrpflicht

Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretungen machten schließlich mit einem Transparent ihre Sicht zur Wehrpflichtdebatte deutlich: „Frieden schaffen statt Kriege machen!“ Sie fragten in die Runde: „Was tut ihr ganz konkret für den Frieden?“

Der CDU-Politiker Asghari forderte ein soziales Pflichtjahr, zivil oder bei der Bundeswehr. Er stieß damit bei der Versammlung auf wenig Verständnis. Cem Ince sprach das Grundanliegen der jungen Menschen aus: „Die Entscheidung über die Wehrplicht darf nicht über die Köpfe der betroffenen jungen Menschen gefällt werden.“ Und: „Lasst uns doch einfach eine Abstimmung unter allen 16- bis 25-jährigen über die Wehrpflicht machen, dann sehen wir mal weiter.“ In Richtung Asghari kommentierte er: „Junge Menschen engagieren sich schon freiwillig ehrenamtlich, dazu braucht es keinen Zwang.“

Starke Kritik wurde in der Versammlung an der Verwendung der Mittel aus den Sondervermögen geübt, die überwiegend in Rüstung und Militarisierung fließen sollen. Zukunftsinvestitionen müssten etwa in Richtung Bildung, soziale Sicherheit und Gesundheit gehen und nicht in die Kriegsvorbereitung.

Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Salzgitter-Peine, Matthias Wilhelm, fasst zusammen: „Über Zukunftskonzepte wurde lange diskutiert, jetzt ist es allerhöchste Zeit zu handeln. Die IG Metall wird nicht nachlassen, für den Industriestandort und ein solidarisches und demokratisches Gemeinwesen zu kämpfen und den notwendigen Druck auf die Politik und die Verantwortung der Unternehmen aufzubauen.“


Hintergrund:

Die IG Metall hatte im Nachklang ihres bundesweiten Aktionstages im März, an dem in fünf Städten 81.000 Menschen auf die Straße gingen, eine industriepolitische Petition unter dem Motto „Mein Arbeitsplatz. Unser Industrieland. Unsere Zukunft!“ gestartet. Mehr als 300 000 Beschäftigte haben diesen Weckruf inzwischen unterschrieben. Die Unterzeichner fordern darin die Sicherung des Industriestandortes, eine gerechte Finanzierung der Lasten und Sicherheit durch einen starken Sozialstaat. Bereits im Herbst vergangenen Jahres hatte die IG Metall einen konkreten „11-Punkte-Zukunftsplan zum Erhalt unseres Industrielands“ vorgelegt. Passiert ist seitdem wenig.