Gewerkschaft und Betriebsrat warnen MAN-Kahlschlagpläne gefährden Beschäftigung und regionale Strukturen in Salzgitter

Mehr als zwei Monate nach der einseitigen Kündigung zentraler Betriebsvereinbarungen am MAN-Standort Salzgitter hat die Geschäftsführung nachgelegt und mit dem sogenannten Zielbild für die künftige Struktur des Werks ein Szenario vorgelegt, das bei der IG Metall und BR Alarmstufe Rot ausgelöst hat.

2025-09 MAN Salzgitter Aktion

18. September 2025 18. September 2025


 Statt konkreter Zukunftsperspektiven wird deutlich: MAN plant den schleichenden Rückzug – verbunden mit massiven Arbeitsplatzverlusten, Stilllegungen ganzer Fertigungslinien und der möglichen Ausgliederung betrieblicher Kerne.

„Was hier unter dem Label ‚Zielbild‘ daherkommt, ist in Wahrheit ein fein orchestrierter Abbauplan“, sagt Andrea Deiana, Vertrauenskörperleiter der IG Metall am Standort Salzgitter. „Ein Plan, der nicht auf Erneuerung zielt, sondern auf eine kontrollierte Schrumpfung. Das ist betriebswirtschaftliche Abrissbirne – keine Industriepolitik.“

Die Eckpunkte, die MAN der Arbeitnehmervertretung im Gespräch am 3. September präsentierte, wirken auf den ersten Blick komplex und technokratisch – ihre Konsequenzen sind jedoch gravierend:

  • Achsmontage, Rohrfertigung, mechanische Bearbeitung: Alle diese hochspezialisierten, produktionsnahen Bereiche sollen aus Salzgitter vollständig abgezogen und an andere Standorte verlagert werden. Ein direkter Schlag gegen Hunderte qualifizierte Industriearbeitsplätze – und gegen jahrzehntelang gewachsene Wertschöpfungsketten.
  • Kurbelwellenfertigung: Dieser Bereich bleibt zwar kurzfristig erhalten, soll jedoch laut Arbeitgeber bis spätestens 2032 schrittweise eingestellt werden – mit Verweis auf die Transformation zur Elektromobilität. Statt in alternative Produkte zu investieren, lässt man diesen Bereich auslaufen, obwohl Know-how, Maschinenpark und Personal bereit wären, sich neu aufzustellen.
  • CKD-Geschäft (Teilekits für Auslandsmontage): Zwar bleibt dieser Bereich nominal am Standort, doch er ist wirtschaftlich volatil, projektabhängig und schwankungsanfällig. Ohne langfristige Auftragsperspektiven oder Investitionen ist dieser Sektor kein belastbarer Anker.
  • Ersatzteil-Logistikcenter: Dieser Bereich soll „erhalten bleiben“. Es ist allerdings zu befürchten, dass eine Ausgliederung in eine eigenständige GmbH erfolgt – oder gar einem Verkauf an Dritte. Tarifbindung, Beschäftigungssicherheit und betriebliche Mitbestimmung wären damit akut gefährdet.

Der Standort Salzgitter ist kein isolierter Industriebetrieb – er ist ein zentraler Arbeitgeber, ein Ausbilder, ein Innovationsträger und ein Anker für Hunderte Zulieferer, Dienstleister und Handwerksbetriebe in der Region. Wenn ein Großteil der Produktion abwandert, ziehen weite Kreise nach: Der Ausbildungsbedarf sinkt – junge Menschen finden weniger Perspektiven in ihrer Heimat. Weniger Arbeit bedeutet weniger Kaufkraft – das trifft den Einzelhandel, Dienstleistungsanbieter und die Gastronomie vor Ort. Steuerausfälle treffen die Kommune – Schulen, Kitas, Vereine verlieren Unterstützung und Entwicklungsspielraum.

„Im Klartext heißt das Vorgehen der Chefetage bei MAN: Die industrielle Substanz des Standorts wird in Etappen demontiert – zuerst verlagert, dann ausgegliedert, schließlich abgebaut“, warnt Hüseyin Uc, Vorsitzender des Betriebsrats. „Wer glaubt, das werde keine Auswirkungen auf die Region haben, der verkennt die Realitäten. Wo die Industrie geht, gehen nicht nur die Arbeitsplätze – es geht Lebensqualität, Teilhabe und Zukunft. Erst schließt die Werkshalle, dann macht die Bankfiliale zu, danach zieht die letzte Bäckerei ins Nachbardorf. Es ist eine Spirale, die nicht nur Arbeitsplätze frisst, sondern das soziale Gefüge zerreißt.“

IG Metall und Betriebsrat machen klar: Eine Zukunftsvereinbarung auf dieser Grundlage ist ausgeschlossen. Denn: Dieses „Zielbild“ ist kein Diskussionsangebot, sondern einseitig gesetzter Rahmen, der auf drastischen Personalabbau und Entkernung des Standorts zielt. „Wir verhandeln über Perspektiven, nicht über Abwicklung. Wer unsere Zukunft zur Disposition stellt, wird unseren Widerstand spüren – solidarisch, geschlossen und entschlossen“, so die IG Metall.

Die IG Metall fordert:

  • Ein belastbares Zukunftskonzept, das den Namen verdient – mit konkreten Investitionszusagen in neue Produkte und Technologien am Standort.
  • Beschäftigungssicherung auf Vertragsbasis – für alle Bereiche, auch durch Qualifizierung, Umschulung und Transformationsbegleitung.
  • Keine Ausgliederung, kein Tarifdumping, keine Fremdvergabe – stattdessen tarifgebundene, zukunftsfähige Arbeitsplätze in Salzgitter.
  • Einbindung der Beschäftigten – ernsthafte Verhandlungen auf Augenhöhe, nicht taktische Vorstöße im Schatten betrieblicher Strukturen.

Trotz Enttäuschung und Empörung zeigt sich die Belegschaft kampfbereit. Die IG Metall setzt auf transparente Kommunikation, breite Mobilisierung und entschlossene Aktionen. „Wir haben nicht jahrzehntelang Kompetenz aufgebaut, um sie uns jetzt Stück für Stück entreißen zu lassen“, betonen Uc und Deiana im Gleichklang. Wenn MAN auf Kahlschlag setzt, setzt die IG Metall auf Gegenwehr.

Ihren Appell richtet die IG Metall nicht nur an die Unternehmensleitung, sondern auch an die Kommunal- und Landespolitik: Ein Rückzug aus Salzgitter wäre ein Rückschlag für jede regionale Strukturpolitik. „Wir fordern, dass sich die Politik klar bekennt – zur Industrie, zur Region, zur Tarifbindung. Wer heute schweigt, muss sich morgen erklären, warum die Haltestelle nicht mehr angefahren wird, warum junge Menschen abwandern und warum Industriearbeitsplätze durch Substanzverlust ersetzt wurden“, heißt es von der IG Metall.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Was der Arbeitgeber als „Zielbild“ formuliert, ist aus Sicht von IG Metall und Betriebsrat ein Szenario der kontrollierten Schrumpfung. Die Konsequenz: Arbeitsplatzverlust, regionale Entleerung, Vertrauensbruch. Doch MAN in Salzgitter hat eine starke Belegschaft, entschlossene Vertreter*innen und eine stolze industrielle Geschichte. Die IG Metall steht an der Seite der Beschäftigten - für einen Standort in Salzgitter mit Perspektive, für eine gerechte Transformation und für eine starke Industrie von morgen."

(Presseinformation der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt)