Es ist längst nicht mehr fünf vor, sondern wenige Sekunden vor zwölf. Der industrielle Puls wird schwächer – nicht, weil es an Ideen oder Innovationskraft mangelt, sondern weil politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen den Herzschlag der Branche dämpfen. Zwischen Energiepreisbelastung, internationalem Wettbewerbsdruck und stockender Transformation wächst die Sorge vor einem schleichenden Substanzverlust, der weit über Werkstore hinausreicht.
Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies unterstrich: „Die Stahlindustrie steht an einem entscheidenden Punkt – jetzt geht es um die Zukunft einer Schlüsselbranche und zehntausender Arbeitsplätze. Wenn wir nicht rasch handeln, drohen Wertschöpfung und Innovationskraft dauerhaft verloren zu gehen. Europa muss in der Lage sein, klimaneutralen Stahl zu wettbewerbsfähigen Bedingungen zu produzieren. Dafür braucht es klare politische Entscheidungen: wirksamen Handelsschutz, faire Wettbewerbsbedingungen durch einen wirksamen CO₂-Grenzausgleich, konkurrenzfähige Energiepreise und eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur. Die von der Bundesregierung vorgesehene Teilübernahme der Übertragungsnetzentgelte und die neuen EU-Vorschläge zum Handelsschutz weisen in die richtige Richtung – jetzt kommt es auf ihre schnelle, entschlossene und dauerhafte Umsetzung an.“
Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, findet deutliche Worte: „Stahl ist keine Branche wie jede andere – Stahl ist Fundament unserer industriellen Wertschöpfung. Wenn der Stahlstandort ins Wanken gerät, geraten Maschinenbau, Automobilindustrie, Energietechnik und Bauwesen mit ins Rutschen. Ohne entschlossene industriepolitische Rückendeckung riskieren wir, dass das industrielle Herz Deutschlands erlischt.“
Während Unternehmen längst Milliardeninvestitionen in klimafreundliche Technologien anstoßen, fehlen weiterhin zentrale politische Weichenstellungen. Hohe Energiepreise, unsichere Förderzusagen und langwierige Genehmigungsverfahren gefährden die Wettbewerbsfähigkeit. Gröger mahnt: „Unsere Betriebe haben den Mut zur Zukunft – doch sie brauchen endlich politische Verlässlichkeit. Der Bund darf nicht länger in Ankündigungen verharren. Es geht um eine der letzten vollintegrierten Industrien Deutschlands. Wer sie aufs Spiel setzt, riskiert das industrielle Herz des Landes.“
Ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis ist aus Sicht der IG Metall kein Privileg, sondern eine Standortversicherung. Die Gewerkschaft fordert einen dauerhaft verlässlichen Strompreis von fünf Cent je Kilowattstunde – inklusive Netzentgelten und Abgaben. Dieser Tenor wurde auch zuletzt beim niedersächsischen Stahldialog geteilt. Denn klar ist: Wenn Energie zur Luxusware wird, wird Zukunft unbezahlbar. Die Politik muss den Mut aufbringen, den Strommarkt so zu gestalten, dass industrielle Produktion in Deutschland bleibt – statt sie in Länder mit niedrigeren Klima- und Sozialstandards zu verdrängen. Die von der Bundesregierung geplante Teilübernahme der Übertragungsnetzentgelte ist ein richtiger Schritt, aber noch kein Rettungsanker. Entscheidend ist, diese Entlastung dauerhaft und rechtssicher zu verankern.
Die Stahlindustrie bleibt der Schlüssel für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft – und zugleich ihr Lackmustest. Der AK Nord machte deutlich: Ohne eine funktionierende Wasserstoffinfrastruktur droht der industrielle Umbau zu scheitern. Es braucht endlich Tempo beim Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes – nicht weitere Prüfaufträge. Gröger warnt: „Wenn Unternehmen nicht wissen, ob und wann sie grünen Wasserstoff zu vertretbaren Preisen beziehen können, werden Investitionen gestoppt. Damit verlieren wir Zeit – und Vertrauen.“
Die IG Metall fordert daher die zügige Errichtung des Wasserstoff-Kernnetzes, eine zwanzigjährige Befreiung von Stromnetzentgelten für Elektrolyseure sowie staatliche Absicherungsinstrumente für den Wasserstoffbezug, um Investitionen in klimaneutrale Produktionsprozesse endlich planbar und verlässlich zu machen. Die Europäische Kommission hat neue Regelungen zum Handelsschutz für Stahl vorgelegt, die aus Sicht der IG Metall ein wichtiges und richtiges Signal setzen. Sie greifen zentrale Forderungen der Gewerkschaft auf und stärken die Position der europäischen Stahlindustrie im internationalen Wettbewerb. Dumpingimporte, insbesondere aus Asien, bedrohen seit Jahren den europäischen Markt. Freihandel darf kein Freibrief für unfaire Produktionsbedingungen sein. Deutschland müsse sich für eine dauerhafte Fortsetzung der Schutzmaßnahmen über 2026 hinaus einsetzen – einschließlich einer konsequenten Umsetzung des CO₂-Grenzausgleichs (CBAM), damit saubere Produktion nicht zum Standortnachteil wird.
Gleichzeitig braucht es eine konsequente Schaffung grüner Leitmärkte, die klimafreundlich produzierten Stahl gezielt nachfragen und so den Markthochlauf absichern. Öffentliche Infrastrukturprojekte, der Fahrzeugbau oder der Energiesektor müssen künftig systematisch auf grünen Stahl setzen. Nur wenn der Staat mit gutem Beispiel vorangeht und eine verlässliche Nachfrage schafft, wird die ökologische Transformation auch ökonomisch tragfähig.
Für die IG Metall steht fest: Transformation gelingt nur, wenn Beschäftigungssicherung, Qualifizierung und Mitbestimmung integraler Bestandteil sind. Der ökologische Umbau muss auch ein sozialer sein. Grüner Stahl braucht rote Prinzipien – Mitbestimmung, Tarifbindung und gute Arbeit. Nur wenn die Beschäftigten die Transformation aktiv mitgestalten, bleibt sie sozial akzeptiert und wirtschaftlich tragfähig.
„Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage fordern wir den Bund auf, den angekündigten bundesweiten Stahlgipfel nicht zum Redeforum, sondern zum Entscheidungstisch zu machen. Dort müssen verbindliche Beschlüsse gefasst werden, die der Industrie Planungssicherheit und Zukunftsperspektive geben. Dazu gehören insbesondere eine verlässliche Finanzierung grüner Technologien und die politischen Rahmenbedingungen für wettbewerbsfähige Energiepreise, vor allem für energieintensive Industrien. Außerdem brauchen wir eine öffentliche Beschaffungspolitik, die gezielt auf heimischen, klimafreundlich produzierten Stahl setzt, die Schaffung grüner Leitmärkte sowie soziale Sicherungsmechanismen, die Beschäftigte in der Transformation schützen und Perspektiven für Weiterbildung und Qualifizierung eröffnen!“, fordert Manuel Bloemers vom Vorstand der IG Metall.
(Pressemitteilung des IG Metall Bezirks Niedersachsen und Sachsen-Anhalt)